Drosten: Ein Virus ist ein Krankheitserreger, der keinen eigenen Energiestoffwechsel hat. Im Gegensatz zu Bakterien, die sich selbst ernähren, brauchen Viren einen Wirt mit intakten Zellen, die sie befallen können.
Die Welt: Warum gibt es ihn? Hat er auch bessere Aufgaben, als krank zu machen?
Drosten: Ja. Viren haben wichtige regulative Funktionen in Ökosystemen wie in tierischen Ökosystemen oder im Meer. Raubtiere werden beispielsweise häufig von Viren befallen, wenn die Population ihrer Beute eine Pause braucht. Die Raubtiere werden durch die Viren träge, die Beute kann sich erholen.
Die Welt: Warum macht er krank?
Drosten: Grundsätzlich ist es so, dass die eigentliche Krankheit meist durch unser Immunsystem hervorgerufen wird. Wenn wir aufgrund eines Virus’ Fieber bekommen, dann nicht wegen des Erregers selbst, sondern, weil unser Immunsystem die äußeren Umstände so verändern möchte, dass das Virus zerstört wird
Die Welt: In der auf den gleichnamigen Roman von William Brinkley produzierten Serie „The Last Ship“ sind 80 Prozent der Weltbevölkerung durch eine Virus-Erkrankung vernichtet worden. Ist das nur Science Fiction oder könnte es tatsächlich zu einer derart weitreichenden Pandemie kommen?
Drosten: Ein Virus, das alle Infizierten tötet, halte ich für unwahrscheinlich, denn das hätte Nachteile für die Viren selbst. Ein Virus braucht einen Wirt um zu überleben, und wenn alle Wirte sterben, kann das Virus nicht mehr übertragen werden. Dennoch muss man sich klarmachen, dass es zu weitreichenden Pandemien kommen kann und dass es sich dabei um Naturkatastrophen handelt, die normale Regeln des Zusammenlebens außer Kraft setzen können.
Die Welt: Wenn eine Seuche ausbricht, was ist das Erste, was ein Virologe tut, um die Ausbreitung zu verhindern?
Drosten: Als Allererstes muss der Virologe einen Diagnostik-Test machen. Nur so kann man das Virus erkennen und die Symptome einschätzen lernen, um gesunde von kranken Patienten unterscheiden zu können.
Die Welt: Sie sind Experte für seltene Viren. Wie stark ist die Menschheit von einem plötzlichen Ausbruch einer noch unbekannten Seuche bedroht?
Drosten: Das lässt sich schwer sagen. Die oben genannten Faktoren, allen voran der stetig wachsende Reiseverkehr und die Massentierhaltung, sprechen dafür, dass wir Probleme bekommen werden. Ob die nächste Pandemie von einem Influenzavirus, einem Coronavirus oder etwas gänzlich Unbekanntem ausgelöst wird, oder wann sie ausbricht, das kann niemand genau vorhersagen.
Die Welt: Wie können sich die Menschen gegen Seuchen schützen?
Drosten: Ein intaktes Immunsystem, eine sorgfältige Hygiene und Zugang zu entsprechenden Medikamenten helfen dabei. Ansonsten können Menschen natürlich die oben genannten Risikofaktoren wie verstärkten Reiseverkehr oder Fleischkonsum aus Massentierhaltung eingrenzen.
Die Welt: Als neuer Leiter des Instituts für Virologie an der Charité wollen Sie dazu beitragen, auf künftige Epidemien vorzubereiten. Wie kann man sich das vorstellen?
Drosten: Wir bemühen uns, in der akademischen Forschung mit Gesundheitsbehörden zusammenzuarbeiten und diese zu informieren. So können neue Forschungsstrukturen in den Gesundheitsbehörden angewandt werden. Forschung zu Pandemien ist im Nachteil, weil das Ziel die Verhinderung von noch nicht akuten Krankheiten ist. Es ist also schwierig, den direkten Nutzen dieser Forschung nachzuweisen. Deshalb müssen Forschung und Behörden hier eng zusammenarbeiten, um die Erfolge transparent zu machen.
Die Welt: Ein Blick in die Geschichte – nicht zuletzt in Berlin – zeigt, dass es häufig die sozial Schwachen waren, die unter Krankheiten wie Tuberkulose und Cholera litten. Auch heute sind es die Frauen, Männer und Kinder aus den armen Ländern, die von Seuchen am schwersten betroffen sind. Was muss geschehen, damit mehr „gesundheitliche Gerechtigkeit“ entsteht?
Drosten: Der Zugang zu sauberem Trinkwasser und die Aufklärung über wichtige Hygienestandards sind leider in vielen ärmeren Staaten und Regionen noch begrenzt. Hier mangelt es an Investitionsbereitschaft und effizienter Organisation, um die Situation zu verbessern. Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Herstellung neuer Impfstoffe über die Pharmaindustrie läuft. Wie bringt man die Pharmaindustrie dazu, Medikamente zu entwickeln, für die es keinen Markt gibt? Denn in Regionen, in denen vor allem arme Menschen betroffen sind, werden diese keinen Zugang zur medizinischen Versorgung mit diesen Medikamenten haben.
Die Welt: Warum schaffen es manche Menschen, eine schwere Krankheit wie Ebola zu überleben, während die meisten Infizierten sterben?
Drosten: Das hat meist genetische Ursachen. Manche Menschen haben beispielsweise eine Mutation in einem bestimmten Oberflächenprotein und können sich deshalb nicht mit HIV infizieren. Solche genetischen Gründe sind auch in Bezug auf Ebola zu vermuten.
Die Welt: Sie haben das Coronavirus entschlüsselt, das SARS auslöst und zahlreiche Menschen das Leben gekostet hat. Sie haben verhindert, dass die Seuche unkontrollierbar wird. Was war das für ein Gefühl?
Drosten: In erster Linie war das kein Gefühl, sondern eine Arbeitsleistung, die man erbracht hat. Wenn diese bestimmte Arbeitsleistung eine so weitreichende Bedeutung hat, wird das meistens erst viel später deutlich.
Die Welt: Wie kommt man auf die Idee, Virologe zu sein? Wollten Sie das schon als Junge?
Drosten: Nein, das nicht. Aber ich war schon immer naturwissenschaftlich orientiert und hatte Spaß an diesen Fächern. Später im Studium dann habe ich mehr über die Virologie erfahren und mich dafür begeistert.
Die Welt: Was ist das gefährlichste Virus, das Sie kennen?
Drosten: Wenn es um eine akut verlaufende Epidemie geht, ist zum Beispiel das Coronavirus sehr gefährlich, besonders für Afrika. Oder die Influenza: hier gibt es keine Grenzen, da das Virus über die Luft übertragen wird. Insgesamt ist es aber schwierig zu sagen, welches Virus wirklich am gefährlichsten ist.
Die Welt: Impfgegner argumentieren unter anderem damit, dass sich Viren nie ganz beseitigen lassen und verweisen auch auf Ihre Entdeckung eines mit Masern-Erregern verwandtes Virus in Fledermäusen. Was halten Sie von der Vorstellung, nicht mehr zu impfen? Können Sie Impfgegner auch verstehen?
Drosten: Die Argumentation ist irreführend. Man impft nicht nur deshalb, um Viren zu entfernen. Wir impfen auch gegen Viren, die wir nie ganz auslöschen können, denn unser Ziel ist es, den einzelnen Patienten zu schützen. Impfgegner kennen sich häufig nicht mit Impferkrankungen aus und handeln dann grob fahrlässig. Masern-Erreger sind das beste Beispiel: Sie sind absolut nicht ungefährlich. Im Gegenteil, jedes 1000. Kind, das damit infiziert ist, stirbt daran.
Quelle: Welt.de/Veröffentlicht am 08.04.2017
Noch eine merkwürdiger Artikel: Im Jahr 2008 – Verwandte der SARS-Viren erstmals bei Fledermäusen in Deutschland nachgewiesen