Clayton Morris, Redacted: Die westlichen Medien, besonders die Washington Post heute, bezeichnen die Schläge gegen die Ukraine als einen Wendepunkt in diesem Krieg. (…) Sind wir tatsächlich an einem Wendepunkt und wohin wendet sich das Blatt?

Douglas Macgregor: Es ist eine Art Wendepunk, vielleicht nicht gerade so, wie die Washington Post suggeriert (…) Lassen Sie uns über die Entwicklung dieses Konflikts während der vergangenen sieben Monate reden. Konflikte sind nicht statisch, Krieg ist ein sich ständig änderndes Meer.

Auch wenn es im Westen niemand zugeben wird, aber Präsident Putin hat sich in den vergangenen sieben Monaten enorm zurückgehalten beim Gebrauch seiner militärischen Macht. Wir haben nie mehr als höchstens 20 Prozent der russischen Bodentruppen in der Ukraine gesehen. Und viele der regulären Bodentruppen wurden nach den ersten vier Monaten auch wieder abgezogen, nachdem die ukrainische Armee, die wir über mehrere Jahre aufgebaut hatten, zu einem großen Teil vernichtet worden war. Was es in der Ukraine zurzeit noch gibt, ist eine Mischung aus verschiedenen Freiwilligen-Organisationen, Milizen, einigen alliierten Kräften wie die Tschetschenen, Kuban Kosaken Freiwillige, die sich als sehr gute Kämpfer herausgestellt haben plus die Wagner-Söldnertruppe, die sich ebenfalls als sehr effizient im Bodenkampf erwiesen hat. Aber die eigentliche russische Armee mit ihren Kampftruppen hat sich zum großen Teil zurückgezogen. Ich dachte eigentlich, sie würden Ende August zurückkommen, aber offensichtlich wurde die Entscheidung getroffen, das zu unterlassen.

Was im Moment im Kreml passiert, so vermute ich, dass Putin und seinen Beratern klar geworden ist, dass dieser Kampf nicht durch Verhandlungen beendet werden kann. Vermutlich hat er sich an diese Hoffnung geklammert, sogar im April, als wir und London Selenskyj und Kiew verboten hatten, irgendwelche Kompromisse wie z.B. Neutralität zu akzeptieren.

Nun haben wir es mit einem anderen Russland zu tun. Wir haben gestern gesehen, wie in drei Wellen 202 Raketen bestimmte Ziele in der ganzen Ukraine angegriffen haben. Das konnten sie schon die ganze Zeit. Sie haben ihre präzisionsgelenkten Waffen genauso wie wir. Dieses Mal haben die Russen aber nicht nur die sogenannte kritische Infrastruktur getroffen, sondern auch das Hauptquartier der ukrainischen Geheimpolizei, einer notorischen Organisation, die Leute umbringt, Leute mit vorgehaltener Waffe in feindliches Feuer treibt oder mit vorgehaltener Waffe rekrutiert. Die Russen haben auch einige geheimdienstlichen Analysezellen getroffen. Sie signalisierten also, dass in der westlichen Ukraine nichts geschieht, ohne dass Moskau davon Kenntnis hat. Und dass es dort nichts gibt, das die Russen nicht erreichen und zerstören könnten.
Ich denke, wir haben einen kleinen Vorgeschmack davon bekommen, was im Herbst auf uns zukommen wird. Ich sage voraus, dass es großangelegte Bodenoffensiven der Russen geben wird, wenn der Boden erst einmal gefroren ist. Es wird viel mehr dem ähneln, was die meisten von uns eigentlich schon am Anfang des Krieges erwartet hatten: Großangelegte Offensiven, um die ukrainischen Kräfte komplett zu vernichten.

Clayton Morris, Redacted: Die westlichen Medien versuchen, diese Luftschläge als belanglos zu porträtieren. Angeblich verletzen sie die Ukraine nicht richtig. Ich habe das während der vergangenen 24 Stunden von einigen Propaganda-Medien gehört. Wenn ich durch die lange Liste der getroffenen Ziele gehe, es wurden polnische Kräfte getroffen, die zusammengezogen worden waren, um in Russland einzumarschieren, NATO-Ziele, der SBU, Wärmekraftwerke, es gibt Massen, die derzeit aus der Ukraine fliehen, weil sie kein frisches Wasser haben, kein laufendes Wasser, sie haben keinen Strom, sie haben kein Internet. Westliche Medien sagen also, die Treffer seien belanglos, der Ukraine gehe es gut. Was sagen Sie dazu?

Douglas Macgregor: Biden oder seine Berater fühlten sich offenbar dazu veranlasst, Selenskyj zu versichern, dass wir ihn auch weiterhin unterstützen würden. Da wird es keine Änderung geben. Zur selben Zeit bettelte Selenskyj um mehr Luftabwehrwaffen, da bei den russischen Raketenangriffen 80 Prozent der ukrainischen Luftabwehr zerstört worden sind. Wenn jemand suggeriert, dass das belanglos gewesen sei, müssen wir nur die Entwicklung ansehen und kommen sehr schnell zu dem Schluss: das stimmt nicht. Herr Selenskyj ist in Panik. Fraglos haben die Ukrainer nun ernsthafte Logistikprobleme, um Dinge im Land hin- und herzubewegen. Plötzlich hat sich Russland entschieden, genug ist genug – und die vorherige Zurückhaltung aufzugeben.

Clayton Morris, Redacted: Zurück zu den Luftabwehr-Systemen. Selenskyj hat, wie Sie gerade erwähnten, um mehr dieser Systeme gebeten. Die USA scheinen dem nachkommen zu wollen. (…) Was wird das der Ukraine nützen? Erklären Sie bitte, wer die bedienen würde. Wären die unbemannt oder würden das NATO-Soldaten besorgen? Ukrainisches Militär?

Douglas Macgregor: Dieses sogenannte Himar System wird zum größten Teil von sogenannten Vertragspartnern bedient. Dabei handelt es sich vermutlich um Amerikaner in Zivilkleidung, die einen Arbeitsvertrag mit der ukrainischen Regierung haben oder im Rahmen eines der anderen Mechanismen beschäftigt sind, die wir eingeführt haben. Es könnten Europäer sein. Aber diese Systeme verlangen eine lange Ausbildungszeit bis sie effektiv bedient werden können. Von der Instandhaltung gar nicht zu reden. Etwas, das NASAMS heißt, ein Boden-Boden und Boden-Luft-Raketensystem zur Punkt-Verteidigung mit einem hochkomplexen Radarsystem, einem der besten weltweit, befand sich in Kiew – und es wurde zerstört. Wie schaltet man Punkt-Luftverteidigungssysteme aus? Durch die schiere Menge von Raketen, die das System abzuwehren hätte. Auf diese Weise lässt sich jedes System umgehen, egal wie gut es ist. Das ist das, was die Russen getan haben. Sie haben dieses Abwehrsystem mit Masse überwältigt. (…)

Clayton Morris, Redacted: Welche Rolle spielen NATO-Kräfte jetzt noch an diesem Wendepunkt angesichts der Dezimierung des ukrainischen Militärs? (…) Die besten Kräfte sind außer Gefecht gesetzt. Sie zu ersetzen ist nicht einfach. Werden sie durch NATO-Truppen ersetzt? Durch Vertragskämpfer? Wer wird die Lücke füllen, das Schiff bemannen?

Douglas Macgregor: Nun, die Leute die sich im direkten Bodenkampf befinden, sind Ukrainer. Es gibt Meldungen über eine große Zahl polnischer Soldaten in ukrainischen Uniformen, welche die ukrainischen Verluste der letzten Monate ersetzen. Sie haben darauf hingewiesen – die meisten der besten ukrainischen Einheiten existieren nicht mehr. Sie wurden getötet oder verwundet. Die Ukrainer haben tödliche Verluste von ungefähr 100.000 Mann und vielleicht 200 -, 300 – oder sogar 400.000 Verwundete. Das war einmal eine Armee von 600.000 Mann. Bedenken Sie: Wir haben diese Armee über 8 Jahre mit dem Ziel aufgebaut, Russland anzugreifen. Dafür wurde sie geformt. Das ist der Grund, warum die Russen sie angegriffen haben. Außerdem wollten wir Raketen in der Ostukraine stationieren, mit denen wir Russland hätten bedrohen können. (Ab der Minute 8 im Video unten).

Also nochmal: Die Ostukraine musste neutralisiert werden und das ist der Grund, weshalb die Russen dort intervenierten. Dabei haben sich die Russen, wie ich vorher schon ausführte, große Zurückhaltung auferlegt. Zunächst einmal ist das ein slawisches Land, ein anderes christlich-orthodoxes, slawisches Land. Die Russen haben kein Interesse daran, dort eine große Anzahl Menschen umzubringen. Sie wollten auch nicht viel Infrastruktur zerstören. Die Gegenden, in denen die Russen im Osten und im Süden der Ukraine sitzen, waren vorher schon russisch. Sie wollten gleiche Rechte für die Russen mit anderen Ukrainern innerhalb der Ukraine sicherstellen. Das war der Sinn des Minsker Abkommens, das nie erfüllt wurde.

Fazit: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehen Sie Kanonenfutter. Leute ohne viel Training werden zusammengetrieben, in Uniformen gesteckt, bekommen eine AK 47 in die Hand gedrückt, werden hinter Maschinengewehre gestellt, in Panzer oder andere Kampffahrzeuge gesteckt. Haben sie eine Ausbildung? Einige wenige haben sogar eine gute, die meisten anderen fast gar keine. Folglich werden die Gefallenenzahlen sehr hoch sein. Wenn man aber einmal das, was wir als die taktische Ebene bezeichnen, verlässt, und in die höheren Ränge blickt, wird man dort NATO-Personal finden, die die ganze Show anleiten. Leute aus Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern arbeiten die Strategien aus und machen Vorschläge, was als nächstes passieren soll.

Es gibt Hinweise darauf, dass der ukrainische Präsident unsere Ratschläge nicht sonderlich ernstgenommen hat. Er ist darauf aus, anzugreifen, anzugreifen und nochmal anzugreifen. Wahrscheinlich sieht er sich selbst in einer Position, in welcher er zwar alles zu verlieren – aber nichts mehr zu gewinnen hat. Er denkt offensichtlich, er könne die Russen ermüden. Dabei ist es so, dass es für einen getöteten oder verwundeten Russen fünf-, sechs- oder sieben getötete oder verletzte Ukrainer gibt. Für die Russen rechnet sich das. Sie haben eine ziemlich kostengünstige Verteidigung, während sich die Ukraine extrem teure Angriffe leistet. Die Ukraine befindet sich in einer sehr ernsthaften Krise. Sie könnte das nicht überleben. Besonders, wenn die zu erwartende Offensive der Russen im November/Dezember, wenn der Boden gefroren ist, losgeht, weiß ich nicht, was die Ukrainer noch dagegen machen wollen. Dann werden sie mit der regulären russischen Armee konfrontiert sein, einer großen Zahl russischer Truppen, nicht mehr nur mit Freiwilligen und alliierten Einheiten. Sie werden die operative Freiheit haben, das zu tun, was viele Russen schon von Beginn an tun wollten. Alles, was ihnen gefährlich oder als Bedrohung vorkommt, wird ins Visier genommen und zerstört werden. Das wird ein sehr unterschiedlicher Krieg sein, der da kommt.

Clayton Morris, Redacted: Sie sagen das für November voraus, also für die nächsten Wochen?

Douglas Macgregor: Nun, ich werde nicht vom russischen Generalstab informiert, aber wenn ich mir den derzeit stattfindenden Aufmarsch der russischen Truppen auf dem Kriegsschauplatz anschaue, sie kommen in Gruppen von 50.000. Sie sind verteilt in der Ukraine und an verschiedenen anderen Orten, gehen durch intensives Training und treffen Vorbereitungen. Dann werden sie zur Operation Axis übergehen, etwas, das wir schon zum Beginn des Krieges erwartet hatten, was aber ausblieb. Sie werden dann sehr hart und sehr tief zuschlagen. Alles, was sich in der Ukraine ihrem Vormarsch entgegenstellt, wird dann vernichtet werden. Das wird ihr Auftrag sein: Zerstörung und Vernichtung des Gegners.

Wo werden die Russen ihren Vormarsch beenden? Ich nehme an, am Fluss Dnjepr. Sie waren nie daran interessiert ihn zu überschreiten. Sie wollen nicht in das, was die historische Urkaine ist, gehen, also westlich des Dnjepr. Das ist, wo die Ukrainer leben. Odessa wird an die Russen gehen, auch Charkow – diese Orte werden ein für allemal eingenommen werden und es gibt nicht viel, das wir dagegen tun können. Niemand im Westen wird etwas dagegen unternehmen können, es sei denn, sie wollen sich in einen Krieg mit Russland begeben. Ich kann aber niemanden in Europa erkennen, der das will. Einzige Ausnahme sind vielleicht die Polen, aber auch dort bröckelt die Unterstützung für diesen Krieg. In den USA interessiert sich sowieso kaum jemand dafür. Wir sind beschäftigt mit dem Hurrikan in Florida. Keiner schert sich um die Ukraine. Deshalb sind wir auch mit so vielen schlechten politischen Entscheidungen durchgekommen sind, weil die Amerikaner sich nicht dafür interessiert haben. Daran hat sich nicht viel geändert, auch wenn sie allmählich einsehen, dass vielleicht nichts von dem stimmt, was ihnen in diesem Zusammenhang aufgetischt wurde.

Clayton Morris, Redacted:Und sie waren eine der schärfsten Stimmen, die uns die Wahrheit gesagt haben. Das ist es, was wir in dieser Sendung machen wollen. Wir haben hier seit Wochen über Odessa geredet. Das wird der Knackpunkt. Wenn Odessa fällt wird es Teil Russlands werden. Die Ukraine wird zu einem Binnenland ohne Zugang zur See. Was wird mit der Ukraine, mit Selenskyj passieren?

Douglas Macgregor: Darüber lässt sich nur spekulieren. Keine Ahnung, wie es mit Selenskyj weitergeht. Er könnte von seinen eigenen Leuten entfernt werden oder ein Flugzeug zu einem seiner Anwesen besteigen, nach Miami oder nach Venedig fliegen. Was Russland angeht: Odessa war immer eine russische Stadt, war nie Teil der Ukraine. Das gleiche gilt für Charkow. Es waren von Anfang an russische Städte und sie haben Russisch gesprochen. Das bedeutet nicht, dass auch Ukrainer dort eingezogen sind. In Odessa sind heute etwa 50 Prozent Ukrainer, weil sie die Russen hinausgedrängt haben.

Moskau wird diesen Unsinn nicht länger hinnehmen. Die Russen werden diese Orte einnehmen. Sie werden es tun, wie Russen es immer tun: sehr methodisch, sehr gezielt. Der neue Kommandeur, der gerade ernannt wurde, ist eine fähige Person mit einer guten Reputation. Er hat für die Russen in Syrien hervorragende Arbeit geleistet, er ist hartnäckig und er hat alle Kräfte und Optionen zur Verfügung, die seine Vorgänger nie hatten. Das wird ein Wendepunkt sein, wie die Washington Post schrieb. Sie hat recht, aber anders als sie denkt – Aber es ist ein Wendepunkt.

Quelle

Von Morpheus

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