Während Deutschland sein erstes Handelsbilanzdefizit seit 30 Jahren vermeldet, sehen die Aussichten für die gesamte westeuropäische Industrie ebenfalls düster aus. Die EU hat keinen Plan für ein Leben ohne billige Energie aus Russland. Was also passiert als Nächstes?

Deutschlands Außenhandelsbilanz für den Monat Mai wies ein Defizit von einer Milliarde Euro auf. Dies hat viele Analysten dazu veranlasst, die Zukunft der Wirtschaft des Landes und die Aussichten für die Europäische Union im Allgemeinen infrage zu stellen.

Die schlechten Nachrichten enden aber damit nicht. Am 3. Juli lag die gesamte globale Marktkapitalisierung Deutschlands, also der wertmäßige Anteil deutscher Unternehmen an den globalen Börsen, auf einem Allzeittief von 1,97 Prozent. Unterdessen fiel der Euro am 5. Juli gegenüber dem US-Dollar auf den niedrigsten Stand seit 2002.

Robin Brooks, Chefvolkswirt des Instituts für Internationale Finanzen, fasste die Lage des deutschen Außenhandels recht gut zusammen. Er schrieb auf Twitter:

Deutschlands Wachstumsmodell bestand darin, billige Energie aus Russland zu importieren, diese zur Herstellung von Industriegütern zu verwenden und diese Güter in die Welt zu exportieren. Während Deutschland jetzt nach neuen Energielieferanten sucht, wird seine Handelsbilanz und die der Eurozone hässlich aussehen.

Die Frage ist, ob dieser Rückgang dauerhaft bleibt oder nicht. Michael Pettis, Finanzprofessor an der Universität von Peking, teilte seine Meinung ebenfalls auf Twitter, sagte jedoch, dass Deutschlands Handelsdefizit nicht wirklich historisch sei. Der Finanzprofessor schrieb:

Deutschland wird nur dann von dauerhaften Überschüssen zu dauerhaften Defiziten wechseln, wenn es entweder zu einem dauerhaften Anstieg der deutschen Investitionen oder zu einem dauerhaften Rückgang der deutschen Ersparnisse gekommen ist.

Pettis fuhr fort, dass keines dieser Dinge passiert sei, wobei Ersteres “unwahrscheinlich” und Letzteres “nichts mit der jüngsten Anpassung der deutschen Handelsbilanz zu tun” habe. Aus diesem Grund hält er die Situation für vorübergehend.

Es erscheint jedoch vernünftig anzunehmen, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen den steigenden Energiepreisen und diesem Tiefschlag für die deutsche Industrie gibt. Steigende Energiepreise implizieren ebenfalls inflationsbedingte Einsparungen. Am 7. Juli meldete Deutschlands Nachbarstaat Tschechien ein Außenhandelsdefizit von fast 1 Milliarde US-Dollar – was die Korrelation zwischen steigenden europäischen Energiepreisen und zurückgehenden Exporten verstärkt.

Das Hauptproblem liegt also genau dort, wo Robin Brooks sie verortet hat, nämlich bei der Energiequelle der EU. Wenn billige russische Energie tatsächlich dauerhaft aus der EU verbannt wird, dann werden die Auswirkungen auf die EU-Volkswirtschaften logischerweise dauerhaft bleiben – es sei denn, man kann in einem höchst unwahrscheinlichen Szenario eine alternative Versorgung bereitstellen, die sowohl ausreichend als auch zu vergleichbaren Preisen zu erwerben ist.

Eine Lösung, die auf dem Tisch liegt, ist, dass die EU verflüssigtes Erdgas (LNG) aus den Vereinigten Staaten importiert. Die Lieferungen von amerikanischem LNG in die EU und nach Großbritannien haben bereits zugenommen, seitdem die politischen Spannungen zwischen der EU und Russland begannen. Nach Angaben der US-Behörde für Energieinformation exportierten die USA in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres 74 Prozent ihres LNG nach Europa, gegenüber 34 Prozent im Vorjahr. Doch das reicht offenbar nicht aus, um die europäischen Energiepreise stabil zu halten.

Dies wirft eine grundlegende Frage auf, nämlich ob es sich die Europäische Union tatsächlich leisten kann, ihre Sanktionen gegen Russland aufrechtzuerhalten. Die Wirtschaftsmodelle der Mitgliedstaaten sind einfach nicht mit der Realität vereinbar – die Realität, die durch die Sanktionen geschaffen wurde und in der das Wohlergehen der Bürger Schaden genommen hat, sodass soziale und politische Spannungen bevorstehen.

Die Außenpolitik der Europäischen Union folgt der Doktrin einer “strategischen Autonomie”. Aber was derzeit passiert, ist weder strategisch noch ein Akt der Autonomie. Zweifellos ist die Situation in der Ukraine erschreckend und hat die Europäer dazu veranlasst, die bestehende Sicherheitsarchitektur der Region infrage zu stellen. Aber wenn das neueste strategische Konzept der NATO als Andeutung verstanden werden kann, dann kommt Washington mit ins Spiel.

Der geachtete Gelehrte für internationale Beziehungen, John Mearsheimer, beklagte kürzlich in einer Rede, dass “die Geschichte die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten wegen ihrer törichten Ukraine-Politik mit reichlicher Härte verurteilen wird”. Tatsächlich tut die derzeit vorherrschende Politik der Alliierten im Ukraine-Konflikt alles, um sicherzustellen, dass sich der Konflikt in die Länge zieht – was die doppelte Gefahr birgt, dass die Ukraine zerstört wird und die zukünftigen wirtschaftlichen Aussichten Europas beeinträchtigt werden.

Denn je länger der Konflikt andauert oder wenn er auf unbestimmte Zeit fortgeführt wird, bedeutet dies, dass die Spaltung zwischen Russland und dem Westen dauerhaft bleiben wird. Und daraus folgt logischerweise, dass dieses Szenario Auswirkungen auf das Wirtschaftsmodell der europäischen Länder, und insbesondere auf jenes von Deutschland haben wird. Wenn dies das Resultat ist, auf das wir zusteuern, wird die Zukunft der EU zu einer Frage, die man sich stellen muss.

Schon jetzt scherzt man in der tschechischen Hauptstadt Prag darüber, dass Europa in ein paar Jahren nur noch ein Sommerurlaubsort für Amerikaner und Chinesen sein wird. Aber gibt es hier wirklich genug Arbeitsstellen in der Tourismusbranche für alle? Und können alle die winterliche Nebensaison überstehen?

Spaß beiseite. Ich persönlich glaube, dass Deutschlands Handelsbilanzdefizit erheblich ist. In wenigen Tagen könnte sich der Trend noch mehr verdeutlichen, wenn andere europäische Industrieländer ähnliche Defizite melden. Dies sollte zumindest die Alarmglocken läuten lassen im Hinblick darauf, was genau die langfristigen Pläne der Europäischen Union gegenüber Russland sind und ob die europäische Industrie mit den Sanktionen gegen russische Energie überleben kann oder nicht.

Meine Wette ist, dass die europäische Industrie nicht ohne russische Energie überleben kann. Und dies zeigt, wie zerstörerisch es für Europa ist, immer wieder blindlings der Außenpolitik von Washington zu folgen.

In Deutschland wächst die Unzufriedenheit mit der Ukraine-Politik

Umfragen beobachten einen Umschwung in der Stimmung der Bundesbürger hinsichtlich der Ukraine-Unterstützung. Experten sehen als Ursache für die zunehmende Skepsis die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation der BRD, bedingt durch die drohende Energiekrise und den weiteren Anstieg der Inflation.

Mehr als die Hälfte der Deutschen hat Zweifel an der Politik der Bundesregierung bezüglich der Situation in der Ukraine. Das berichtet Die Welt unter Berufung auf die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap. Insgesamt nahmen 1.327 Personen an der repräsentativen Umfrage teil. So heißt es im Bericht:

“Den Kurs der Koalition im Ukraine-Krieg stützen derzeit 39 Prozent. Bedenken dagegen melden 56 Prozent der Deutschen an.”

Gleichzeitig machen sich immer mehr Bürger der Bundesrepublik Sorgen über die Folgen der Unterstützung für Kiew. Obwohl sieben von zehn Befragten ihre wirtschaftliche Lage als “gut” oder “sehr gut” bezeichnen, sieht fast die Hälfte der Befragten die Zukunftsaussichten “mit Skepsis und Besorgnis”. Sie befürchten vor allem Energieengpässe und einen Kaufkraftverlust. Ferner heißt es in der Umfrage:

“Fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) befürchtet, dass ihre persönliche wirtschaftliche Situation in einem Jahr schlechter sein wird als heute.”

Unterstützung als Bürde

Dies ist nicht die erste aktuelle Umfrage, welche die kritische Haltung der Deutschen gegenüber der Politik der Bundesregierung in der Ukraine zeigt. Am 6. Juli veröffentlichte n-tv die Ergebnisse einer vom Forsa-Institut für soziologische Forschung und statistische Analyse durchgeführten Umfrage.

Demnach glauben 69 Prozent der Deutschen nicht, dass die Ukraine in der Lage sein wird, Russland aus den besetzten Gebieten zu “verdrängen”, selbst wenn der Westen Kiew mit “genügend Waffen” versorgt. Nur 26 Prozent der Befragten glauben das Gegenteil.

Außerdem wird die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine selbst von den Befürwortern weiterer Waffenlieferungen nicht als real angesehen. Laut der Umfrage bezweifeln 56 % der Befürworter von Lieferungen, dass Kiew sich durchsetzen kann.

Darüber hinaus sind 47 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Ukraine notfalls zu territorialen Zugeständnissen bereit sein sollte, wenn die Friedensgespräche mit Russland wieder aufgenommen werden. Die gegenteilige Ansicht vertreten 41 Prozent der Befragten, und 12 Prozent der Befragten konnten diese Frage nicht beantworten.

Gleichzeitig glauben nur 15 Prozent der Befragten, dass die Bundesregierung über ein durchdachtes Konzept und eine Strategie für die langfristige Entwicklung der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland und der Ukraine nach dem Ende der Spezialoperation verfügt. Dagegen meinen fast drei Viertel (73 Prozent), die Bundesregierung habe keine klare Vorstellung davon, wie die deutsche Außenpolitik gegenüber Moskau und Kiew in Zukunft aussehen soll.

Wie das deutsche Institut für Weltwirtschaft (IfW) am 6. Juli feststellte, nimmt die Dynamik der Unterstützung für die Ukraine weltweit ab. Das IfW dokumentiert seit dem 24. Februar die militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe, die dem osteuropäischen Staat zugesagt wurde. In einer auf der Website der Organisation veröffentlichten Studie heißt es:

“Die Dynamik weiterer Unterstützungszusagen für die Ukraine lässt nach… Auffällig ist zudem die große Lücke zwischen zugesagter und tatsächlich geleisteter Unterstützung. Sowohl was die militärischen als auch was die finanziellen Zusagen betrifft, liegen die Leistungen unter dem, was die Ukraine laut eigener Einschätzung benötigt und was dem Land versprochen wurde.”

Unterstützung trotzdem

Die Verstrickung Deutschlands in den Ukraine-Konflikt und sein Festhalten am pan-westlichen Anti-Russland-Kurs trifft nach Ansicht von Experten vor allem die Bürger der BRD. Bei Einhaltung der Sanktionen droht Deutschland eine Energiekrise, deren Folgen sich nicht nur auf die Wirtschaft des Landes, sondern ebenso auf das Wohlbefinden der Bevölkerung negativ auswirken können, was auch in Berlin erkannt wurde.

Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, sagte in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe am 2. Juli, dass die bevorstehende Erhöhung der Energiepreise angesichts der Gasknappheit ein Schock für die deutschen Verbraucher sei. Er sagte voraus, dass sich die Kosten für Gas verdreifachen könnten. Müller bezweifelte jedoch, dass die Behörden in der Lage sein würden, alle deutschen Bürger zu entschädigen.

Bundeskanzler Olaf Scholz schloss in seinem Interview mit der ARD am 3. Juli die gravierenden sozialen Folgen der Heizkostenerhöhung nicht aus. So bezeichnete er insbesondere die steigenden Energiekosten als “sozialen Sprengstoff”. Viele Menschen könnten es nicht bewältigen, wenn die Heizkostenrechnung plötzlich um hunderte Euro steige.

Es sei daran erinnert, dass sich die Energiesituation in Deutschland verschlechtert hat, nachdem Gazprom am 14. Juni angekündigt hatte, die Gaslieferungen über die Nord Stream-Pipeline reduzieren zu müssen. Grund dafür war eine Verzögerung bei der Rückgabe von Gasverdichter-Einheiten, die zur Reparatur an Siemens in Kanada übermittelt worden waren, sowie die Entdeckung technischer Mängel an den Motoren.

Nach Angaben des deutschen Unternehmens kann es die Turbine aufgrund der von Kanada verhängten Sanktionen nicht nach Russland zurückschicken. In der Zwischenzeit ist bekannt geworden, dass die kanadische Regierung die Lieferung der gewarteten Turbine nach Deutschland ermöglichen will.

Trotz aller Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten für die deutsche Öffentlichkeit haben es die deutschen Behörden nicht eilig, ihre Unterstützung für die Ukraine zu verringern. So äußerte Scholz in der ZDF-Sendung “Maybrit Illner” am 7. Juli:

“Wir werden so lange solidarisch sein – das ist jedenfalls mein Wunsch – wie das notwendig ist, damit die Ukraine sich verteidigen kann gegen den furchtbaren und brutalen russischen Angriff.”

Begründete Ängste

Die Unzufriedenheit der Deutschen mit dem Enthusiasmus der Behörden, die Ukraine zu unterstützen, wird von russischen Experten als durchaus legitim bezeichnet. So erklärte der promovierte Politikwissenschaftler Andrei Manoilo in einem Gespräch mit RT:

“Die Unzufriedenheit wächst in der Tat, weil sich die Deutschen im Großen und Ganzen nicht um die Ukraine oder die künftige Weltordnung kümmern, wenn ihre eigenen Interessen darunter leiden. Sie kümmern sich nur um sich selbst und sehen, wie die Preise steigen und ihr Budget belasten.”

Diese Ansicht vertritt auch Alexander Kamkin, Wissenschaftler Mitarbeiter am IMEMO der Russischen Akademie der Wissenschaften. Der ständige Anstieg der Preise, der Rückgang der sozialen Stabilität und die Schließung von Unternehmen in vielen Sektoren inmitten des langwierigen Ukraine-Konflikts können den Deutschen kein großes Vertrauen in den von ihrer Regierung eingeschlagenen Weg geben, meint er. Der Analyst erklärte:

“Insbesondere wird bereits davon gesprochen, dass es notwendig ist, die wirtschaftliche und die politische Komponente zu trennen. Konventionell gesprochen, unterstützen Sie bitte die Ukraine, aber warum sollten Sie einen Sanktionskrieg zum Nachteil Ihrer eigenen Interessen führen? Dies ist zum Hauptgrund für die Unzufriedenheit geworden.”

Außerdem sind die deutschen Bürger, wie Andrei Manoilo betont, recht nüchtern, was das militärische und wirtschaftliche Potenzial der Ukraine und Russlands angeht, und erkennen, dass es nicht einmal richtig ist, sie zu vergleichen. Manoilo ergänzte:

“Und wenn Russland seine Ziele in der Ukraine konsequent verfolgt, wird es sie auch erreichen, trotz aller Unterstützung des Kiewer Regimes durch den Westen. Die Tatsache, dass die Deutschen nicht an einen militärischen Sieg der Ukraine glauben, ist also nur gesunder Menschenverstand.”

Der RT-Gesprächspartner betonte, dass die Deutschen sehr wohl sehen, wie die Behörden in der Ukraine-Frage ständig zögern, was in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, Berlin habe keine klare Strategie in dieser Richtung. Der Politikwissenschaftler sagte weiter:

“Die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland beobachten immer wieder widersprüchliche Aussagen zu Sanktionen, Waffenlieferungen und Finanzhilfen an die Ukraine. Und dieser Mangel an Beständigkeit macht ihnen Angst, denn diese Zappelei macht die Zukunft unberechenbar.”

Gleichzeitig ist er der Meinung, dass man nicht erwarten sollte, dass die Bundesregierung ihre Außenpolitik in naher Zukunft ändern wird, da sie diese mit anderen westlichen Partnern abstimmt. Der Analyst teilte abschließend mit:

“Viele westliche Politiker erwarten, dass sie, indem sie die Ukraine ihren Interessen opfern und sie unter die Walze der russischen Militärmacht werfen, diese Macht ausbluten lassen und damit einen geopolitischen Konkurrenten ausschalten. In Deutschland ist man sich jedoch darüber im Klaren, was der Weg zur Schwächung Russlands auf kurze Sicht bedeutet, und man will nicht auf seine Bequemlichkeit verzichten.”

Quelle: Bradley Blankenship und R T

Von Morpheus

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