Scholz will Ostflanke der NATO militärisch stärken
Kanzler Olaf Scholz verspricht bei seinem Besuch im Baltikum, dass Deutschland eine „robuste und kampfbereite Brigade“ in Litauen zu führen bereit sei. Das kommt gut an. Trotzdem wird ihm Zögerlichkeit vorgehalten.
An der Ostflanke der NATO stehen auch die schweren deutschen Waffen bereit. Auf dem Truppenübungsplatz Pabradė in Litauen sieht der Bundeskanzler in die Runde: da stehen eine Panzerhaubitze 2000 im Staub, ein Leopard-2-Panzer, ein Marder-Schützenpanzer, ein Bergepanzer Büffel, ein Spähwagen und auch eine Drohne. Davor Bundeswehrsoldaten mit Tarnfarbe im Gesicht. Auf dem Programm von Olaf Scholz steht ein Besuch des Kommandos der sogenannten NATO Enhanced Forward Presence Battle Group in Litauen, die Kampfgruppe wird von den Deutschen geführt. Scholz geht zu den Soldaten, und sie erklären ihm kurz, was ihre Waffen alles leisten können. Der Kanzler nickt, und sagt: „Schönen Dank für Ihren Einsatz.“ Dann geht es weiter.
Der Bundeskanzler ist am Dienstag zum ersten Mal seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nach Litauen gereist und damit in eine Region, in der man sich besonders bedroht fühlt von Moskau. Im Baltikum, in Estland, Lettland und Litauen, hat man schon vor dem Krieg viel kritischer auf Moskau geschaut, als in Deutschland. Die drei kleinen Staaten haben ihre Lehren gezogen aus ihrer langen Geschichte als Teil der Sowjetunion. Sie hatten gewarnt vor Moskau, und auch vor der Pipeline Nord Stream 2. Sie haben Recht behalten.
Nun fordern sie viel deutlicher einen klaren und harten Kurs, von den Sanktionen gegen Moskau bis zu den Waffenlieferungen an die Ukraine. Groß ist die Angst, dass das Baltikum das nächste russische Ziel sein könnte, sollte die Ukraine nicht standhalten. Für das zögerliche Agieren Berlins scheint sich das Verständnis hingegen in Grenzen zu halten. Auch wenn Scholz den Litauern zumindest auf dieser Reise einen Wunsch erfüllen kann.
Der Krieg ist überall präsent
Schon als die Autokolonne des Kanzlers am Dienstagmorgen vom Flughafen von Vilnius zum Präsidentenpalast in der litauischen Hauptstadt rollt, ist der Krieg in der Ukraine überall präsent. Immer wieder wehen Fahnen in blau und gelb in der Stadt, auf einem Hochhaus gegenüber des historischen Zentrums steht über einer riesigen Ukraine-Fahne auf Englisch geschrieben: „Putin, Den Haag wartet auf Dich.“ Auch die Säulen des Präsidentenpalastes sind in blau und gelb geschmückt, und auf den Gängen im Palast sind aktuelle Fotos ausgestellt: der Präsident Gitanas Nausėda auf einer Demonstrationen für die Ukraine, der Präsident neben zerstörten Panzern und der Präsident Hand in Hand mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi.
Am Dienstag empfängt Nausėda Scholz in seinem Palast, der Bundeskanzler trägt sich ins Gästebuch ein. Danach ist ein Arbeitsessen angesetzt mit den Ministerpräsidentinnen von Litauen und Estland, Ingrida Šimonytė und Kaja Kallas, und Lettlands Ministerpräsident Krišjānis Kariņš. Auch sie sind in den Palast gekommen, um mit Scholz zu sprechen. Über den Krieg, und über ihre Sicherheit.
Kallas ist bekannt für ihre klaren Ansagen, sie hatte nach eigener Aussage beim EU-Gipfel vergangene Woche zu einer „hitzigen Debatte“ darüber beigetragen, was es eigentlich bringen soll, jetzt noch mit dem russischen Präsidenten Putin zu telefonieren – was Scholz und der französische Präsident Macron kurz vor dem EU-Gipfel etwa 80 Minuten lang getan hatten. Kariņš hatte noch am Samstag in der F.A.Z. seine Kritik am Agieren der Bundesregierung auf die „Rhetorik“ Berlins beschränkt. Sicherlich wäre es hilfreich, hatte er geäußert, „wenn die Regierung klar sagen würde, was sie tut“. Die Diskussionen darüber, wann welche Waffen geliefert würden, überschatte den Fakt, „dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert“.
Nach dem gemeinsamen Arbeitsessen steht Scholz mit ihnen zusammen im Präsidentenpalast vor der Presse. Leicht kommen den anderen die Worte über die Lippen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse. Sie fordern wieder mehr Waffen für die Ukraine, und schärfere Sanktionen. Scholz bleibt dabei zu sagen, dass Russland nicht gewinnen dürfe, dafür werde man alles tun. Er führt das gerade beschlossene Sondervermögen für die Bundeswehr an, und verspricht, Deutschland werde als Verbündeter in der NATO alles tun, um im Falle eines Angriffs „jeden Zentimeter“ des NATO-Territoriums zu verteidigen.
Als ein litauischer Journalist ihn fragt, warum die Bundesregierung immer bis zum letzten Moment zögere mit der Unterstützung der Ukraine durch schwere Waffen, bedankt er sich für die Gelegenheit, diesen falschen „Eindruck“ zu korrigieren. Deutschland liefere im großen Umfang. Dann zählt er auf, von Mörsern bis Haubitzen. Auch die anderen Staats- und Regierungschefs bescheinigen ihm im Präsidentenpalast, dass Deutschland sehr viel tue. Kallas dankt für die „historische Entscheidung“ zum Sondervermögen. Als die Sprache auf das angebliche spanische Angebot kommt, deutsche Leopard-2-Panzer aus den eigenen Beständen an die Ukraine zu liefern, antwortet er trocken, ein solcher Antrag liege nicht vor.
Deutliche Kritik an Macron
Deutlich kritischer wird an diesem Tag Paris bedacht: Zu der Äußerung von Macron gefragt, dass Putin nicht gedemütigt werden dürfe, sagt das litauische Staatsoberhaupt, Russland habe sich selbst erniedrigt mit diesem Krieg. Es gehöre nicht mehr in die „Familie der zivilisierten Länder“. Er sagt, jeder Versuch, durch die „Hintertür zu Putin zu gelangen“ wäre eine inakzeptable Legitimierung des Regimes. Scholz verteidigt zumindest die Telefonate mit Putin. Die Gespräche seien wichtig, um ihm immer wieder klarzumachen, dass seine Strategie des Angriffs auf die Ukraine nicht aufgehe.
Jahrhundertelang war das Baltikum Spielball der großen Mächte, vor gut 30 Jahren erst gelang den drei Staaten der Schritt in die Unabhängigkeit von der Sowjetunion, im Jahr 2004 traten sie zusammen der EU und der NATO bei. In Estland und Lettland gibt es bis heute große russischsprachige Minderheiten. In Litauen ist diese Minderheit zwar klein, aber dafür liegt das Land mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern eingeklemmt zwischen Belarus im Osten und der russischen Enklave Kaliningrad. So waren die Sorgen gleich nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine groß, und die Balten zogen Konsequenzen.