Die Rada veröffentlichte ein Foto, das ein Bild von Bandera und den ukrainischen Oberbefehlshaber Walerij Saluschni zeigte, und zitierte Bandera: „Der vollständige und endgültige Sieg des ukrainischen Nationalismus wird eintreten, wenn das russische Imperium aufhört zu existieren.“
Wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage deutlich wird, lehnt die Bundesregierung eine „pauschale Einordnung“ von Organisationen und Personen der Ukraine als rechtsextrem oder rassistisch ab.
In dem Artikel „Deutsch-ukrainische Städtepartnerschaften vor Stresstest?“ hat Richard Kallok darauf hingewiesen, dass in der Ukraine der schon seit vielen Jahren, aber seit dem Krieg zunehmende Trend besteht, die Identität der Ukraine durch rassistische und antirussische „Nationalhelden“ als angebliche „Freiheitskämpfer“ zu stiften, die Kollaborateure der Nazis waren und an Massakern an Juden und Polen beteiligt waren. Besonders ausgeprägt ist das in der Westukraine, was auch darauf hinweist, warum sich in der Ostukraine nach 2014, als über den Maidan in Kiew diese Ideologie mitsamt dem militanten Nationalismus zum Tragen kam, ein prorussischer Separatismus ausbildete.
Im Zuge der Ausmerzung der russischen und kommunistischen Vergangenheit fand eine Art „Bildersturm“ statt, durch den man Geschichte politisch und kulturell säubern will und die Leere durch weißgewaschene ukrainische Nationalisten ersetzt, die zudem Vorbilder für die zahlreichen militaristischen Gruppen und Freiwilligenverbände sind, aber auch ganz oben im Militär, etwa vom Generalstabschef Saluschni, öffentlich verehrt werden („Die Richtlinien von Stepan Bandera sind dem Oberbefehlshaber wohlbekannt“). Es finden weiter Gedenkmärsche statt. Gedenktafeln und Denkmäler wurden errichtet.
Vor 2014 und auch noch eine gewisse Zeit danach wurde hierzulande und im übrigen Westen dieser mit Faschismus, Rassismus und Antisemitismus verbundene Vergangenheitskult kritisch beobachtet. Schon im Vorlauf des Krieges wurde dieser Hintergrund der ukrainischen Gesellschaft und Politik immer weniger beachtet und schließlich mit dem Beginn des Kriegs völlig ausgeblendet. Und das, obgleich in der Ukraine, vor allem im Westen, die Nationalhelden wie Bandera, der OUN-Chef und spätere Terrorchef, Schuchewytsch, Melnyk und Co. immer populärer wurden, sich selbst der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland Melnyk als Bandera-Fan outete, um ihn weißzuwaschen, und viele Straßen, Plätze und Bauten nach Bandera und Co. benannt wurden. Aber vermutlich auch, weil Moskau als Begründung für den Krieg auch die Entnazifizierung nannte, durften Neonazis und rechtsextreme Nationalisten nicht mehr genannt werden, schließlich kommen die Waffen aus dem Westen auch in ihre Hände.
Ende 2022 hatten in einer Umfrage in der von Kiew kontrollierten Ukraine 50 Prozent ein positives Bild von Bandera, 2021 waren es noch 31 Prozent. In einer Umfrage, die im September und Oktober durchgeführt wurde, werden von 90 Prozent die Militanten der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) als Kämpfer für die Unabhängigkeit anerkannt. 77 Prozent finden, der Staat sollte die UPA bekannter machen. Mehrheitlich sagen die Befragten, dass die Nachbarstaaten sich nicht bei den „Helden der Vergangenheit“ einmischen sollen. 76 Prozent haben ein positives Bild von Roman Schuchewitsch, dem Führer der UPA (s.a.: Bandera und OUN/UPA werden zunehmend positiv gesehen).
Im Kampf gegen Russland ist Kritik bei den Unterstützerstaaten unerwünscht, kämpft die Ukraine doch stellvertretend für die Freiheit und den Westen gegen Russland – und dabei spielen die oft in der militanten nationalistischen Tradition verwurzelten Freiwilligenverbände seit 2014 eine wichtige Rolle. Zuletzt wurde im kanadischen Parlament Jaroslaw Hunka, der im Zweiten Weltkrieg Mitglied der berüchtigten SS-Division Galizien (14. Waffen-Grenadier-Division der SS) war, gefeiert. Parlamentspräsident Rota nannte ihn einen „Helden der Ukraine und einen Helden Kanadas“, der „für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen kämpfte und weiter die Truppen bis heute unterstützt“ (Im kanadischen Parlament wurde ein Mitglied der Waffen-SS Galizien frenetisch gefeiert). Trudeau klatschte ebenso wie Finanzministerin Christina Freeland begeistert, Selenskij erhob grüßend die Faust als Siegeszeichen.
Nachdem die Bundesregierung ebenso wie noch die meisten EU-Mitgliedsländer sowie die EU darauf hinarbeiten, die Ukraine möglichst schnell in die EU aufzunehmen, geht es auch darum, ob die EU ein Land aufnehmen sollte, in dem es zahlreiche schwer bewaffnete Freiwilligenverbände und Organisationen gibt, die rechtsextremistischen Ideologien anhängen. Sevim Dagdelen und die Linksfraktion hatten eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung über „Rechtsextreme Ausprägungen der ukrainischen Geschichtspolitik“ eingereicht, die zwar nicht mehr ganz aktuelle ist, aber doch viel verrät. Anhand von zahlreichen Belegen heißt es dort: „Nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller haben rechtsextremistische Kräfte einen erheblichen Einfluss auf die ukrainische Politik. Vertreter rechtsextremer Organisationen sind prominent in zahlreichen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und militärischen Einrichtungen tätig.“ Gefragt wird die Bundesregierung, ob sie Kenntnis von der Verehrung von ukrainischen Nazi-Kollaborateuren hat und wie sie dies bewertet.
Für die Bundesregierung antwortete das Außenministerium am 21. 9. 2023 letztlich so, dass man sich damit nicht beschäftigt. Man verurteile zwar „jede Form von Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus oder andere Formen von Rassismus“, aber sieht in der Ukraine offenbar keine Probleme. Man mache sich die „pauschale Einordnung bestimmter (historischer) Gruppierungen oder Personen als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch, ausdrücklich nicht zu eigen“.
In der Anfrage wurde neben zahlreichen anderen Belegen auch auf einen Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes hingewiesen. Dort wird zwar gesagt, dass wissenschaftlich die Beurteilung der OUN und UPA umstritten sei, aber auch: „Im Allgemeinen unbestritten ist, dass Angehörige der OUN und UPA mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet haben und einen Beitrag zur Vernichtung der Juden und der Ermordung von Polen und Roma geleistet haben. Höchst kontrovers bleiben in diesem Kontext allerdings oft die Fragen, in welchem Umfang dies geschah, ob dies die gesamte oder zumindest Teile der Organisation betraf und aus Eigeninitiative erfolgte oder ob es sich um individuelle Einzelfälle handelte.“
Das Auswärtige Amt unter Außenministerin Baerbock hält sich zwar die Türen offen, weil man nur die „pauschale Einordnung“ ablehnt, aber macht auch deutlich, dass das weder sie noch den Bundestag interessiert bzw. dafür zuständig ist. Das ist anscheinend Strategie einer werteorientierten Außenpolitik, die Werte aufgreift, wenn sie zu den Interessen passen: „Die Bundesregierung verweist darauf, dass sich der parlamentarische Informationsanspruch nur auf Gegenstände erstreckt, die einen Bezug zum Verantwortungsbereich der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag haben und die in der Zuständigkeit der Bundesregierung liegen. Eine Pflicht zur Beantwortung besteht dann, wenn Fragen einen konkreten Bezug zum Regierungshandeln haben und die Bundesregierung einen amtlich begründeten Kenntnisvorsprung gegenüber den Abgeordneten hat.“ Dass kein Interesse vorliegt, etwaige rechtsextreme Strömungen in der Ukraine auch im Hinblick auf die EU-Aufnahme zu beobachten wird etwa durch solche Antworten deutlich: „Der Bundesregierung liegen keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.“